Über das Schicksal der Familie Seidel und das außergewöhnliche Museum mit Zdena Mrázková

Nicht jeder Besucher weiß das, aber Český Krumlov besticht neben mittelalterlichen Denkmälern auch mit Sehenswürdigkeiten aus jüngster Zeit – dem Museum Fotoatelier Seidel, einem Paradies für Fotografen und Fotografierte. Das wunderschöne Jugendstil-Gebäude mit Garten ist auch eine Oase der Ruhe und eine interessante Informationsquelle für all diejenigen, die mehr über das Leben in Český Krumlov und seiner Umgebung vor einhundert Jahren erfahren wollen. Die Leiterin des Museums, Zdena Mrázková, gewährt Einblicke in die Schicksale der Familie Seidl und ihres außergewöhnlichen Ateliers.

Warum sollten wir uns einen Besuch des Museum Fotoatelier Seidel in Český Krumlov nicht entgehen lassen?

Obwohl vielen Menschen die Idee gefällt, sich im Fotoatelier Seidel in historischen Kostümen und vor historischer Kulisse ablichten zu lassen, gibt es für einen Besuch noch viel mehr Gründe. Das Gebäude an sich ist eine Perle der Architektur, renoviert vom Entwicklungsfonds der Stadt Český Krumlov unter maximaler Berücksichtigung der Authentizität des ursprünglichen Gebäudes und der Ausstattung. Ein weiterer Schatz sind die 140 Tausend Negative mit Aufnahmen des tschechisch-österreichisch-bayerischen Grenzgebietes von der Stadt Nýrsko über das zentrale Gebiet des Böhmerwaldes bis nach Jindřichův Hradec. Neben der Besichtigung der Innenräume und der ausgestellten Fotografien, möchten wir Besuchern auch Kommentare und Geschichten präsentieren, die sich dahinter verbergen, die Tausenden von Details, die diese historisch Epoche authentisch repräsentieren.

Es befindet sich fernab der wichtigsten Touristen-Routen, am dritten Mäander der Moldau. Was gibt es hier zu sehen?

Es handelt sich um einen ruhigen Stadtteil mit Spuren vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts – mit einer jüdischen Synagoge, dem Bezirksgericht und Stadtpark, dem ehemaligen Stadtbad und Sportplatz. Genau hier begann der Boom der beginnenden bürgerlichen Selbstbestimmung. Und die Spuren jüngst vergangener Zeiten sind uns viel näher, als die der mittelalterlichen Adelsgeschlechter im Stadtzentrum. Wobei Český Krumlov ohne die Rosenberger, Schwarzenberg und Eggenberg natürlich nicht das geworden wäre, was es heute ist. Doch Sie kommen ihnen nicht so nahe, wie wenn Sie im Fotoatelier Seidel dasselbe Kleid anziehen, was Ihre Urgroßmutter hätte tragen können.

Wer war Josef Seidel und welche Rolle spielte sein Atelier in Český Krumlov?

Er stammte aus Nordböhmen, war ein gelernter Fotograf und reiste durch Böhmen und Österreich-Ungarn. Als er 1886 im Böhmerwald ankam, erfuhr er, dass in Český Krumlov eine Witwe in einem voll ausgestatteten Atelier ihres verstorbenen Gatten lebt. Er reiste hierher und übernahm das Atelier. Damals begannen die Anfänge der professionellen Fotografie und Seidel wurde zu deren Wegbereiter. Er dokumentierte das Alltagsleben, die Menschen und als begeisterter Wanderer auch die Natur des Böhmerwaldes. Er gehörte zu den ersten Fotografen, die sogar Skier anschnallten, nur um ihre Motive ablichten zu können. Aus den Landschaftsaufnahmen machte er Ansichtskarten, die sich bei Kunden großer Beliebtheit erfreuten.

Seidel und sein Atelier waren wohl im ganzen Land ein Begriff ...

Allein im Böhmerwald besuchte und fotografierte er mindestens 450 verschiedene Orte, einige davon wiederholt und in unterschiedlichen Varianten oder zu anderen Zeiten. War ein Fotograf angekündigt, war das in jedem Dorf ein großes Ereignis. Die Familie Seidel führte Kundenbücher nicht nur mit den Verkaufspreisen, sondern auch mit den Namen und Adressen ihrer Kunden. Dadurch ist das Archiv der Aufnahmen nicht anonym und wurde zu einer Online-Datenbank angelegt, in der Menschen heute nach ihren Vorfahren suchen können. Das gehört zu den emotionalsten Momenten, wenn wir unseren Besuchern die Fotos ihrer Großeltern auffinden können.

Josef Seidel starb im Jahr 1935. Was passierte nach seinem Tod?

Das prosperierende Geschäft übernahm damals sein siebenundzwanzig Jahre alter Sohn František. Doch 1949 wurden mehr als 5 000 Negative von den Kommunisten beschlagnahmt und als Vorlage für Ansichtskarten verwendet, was zur Einstellung der hiesigen Tätigkeit führte. 1953 wurde sein Atelier endgültig geschlossen und sein Gewerbe stillgelegt. Seidels Ansichtskarten wurden dann vom staatlichen Verlag Orbis, ohne Angabe des Autors, herausgegeben. Von dem Moment an, als František das Familienstudio schließen musste, rührte er dort bis zu seinem Tod nichts mehr an und benutzte nur gelegentlich die Dunkelkammer für private Zwecke.

Auch František hatte ein bewegtes Schicksal ...

Im Krieg wurde er fast ein Jahr lang von der Gestapo inhaftiert und nach dem Krieg wurden sein Bruder samt Familie und seiner Verlobten nach Deutschland abgeschoben. Er selbst entkam der Abschiebung nur deshalb, weil er von den Faschisten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Dann folgte die Verfolgung durch die Kommunisten ... Seine Verlobte durfte erst nach langwierigen Verhandlungen Ende der Fünfzigerjahre nach Tschechien zurückkehren. Und da war es für das Paar schon zu spät, um Kinder in die Welt zu setzen. Sie lebten hier bis zu ihrem Tod.

Sie sind auch bemüht, das umfassende Archiv in Seidels Atelier in Form von Bildbänden zu präsentieren. Welche Titel haben Sie bis heute herausgegeben?

Der erste Titel hieß „Lipno – eine Landschaft unter Wasser“ über die aufgelassenen Siedlungen, die dem Bau des Stausees weichen mussten. Dann folgte der Titel „Böhmerwald – eine Landschaft unter der Schneedecke“ mit winterlichen Aufnahmen, die Seidel mit seinen Mitarbeitern auf Skiern machte. Die Geschichten dahinter erinnern an einen großen Abenteuerroman. Der dritte Titel war „Krumlov – eine Stadt unterhalb des Turms“, der anhand der einzelnen Stadtviertel unterteilt war und wahrscheinlich die meisten Geschichten zu den porträtierten Menschen enthält. Doch wir haben weitere Pläne. Aktuell fotografieren wir beispielsweise verschwundene Dörfer rund um die Gemeinde Boletice. Mit meinen Söhnen begeben wir uns oft auf die Spuren von Josef Seidel, machen Vergleichsaufnahmen in der nahen Umgebung und im Böhmerwald. Es bereitet uns viel Freude.

Möchten Sie zum Schluss unsere Leserinnen und Leser zu einer Veranstaltung im Museum einladen?

Jeden Monat finden mehrere Veranstaltungen für Besucher jeden Alters, darunter Familien mit Kindern und Schulen, statt. Sie können sich Dokumentarfilme aus der Geschichte des Böhmerwaldes und der Stadt Český Krumlov ansehen, sich die Vortragsreihe „Das Leben vor 100 Jahren“ anhören oder lernen, wie man mit alten Fotoapparaten hantiert und in der Dunkelkammer arbeitet. Vor allem jüngere Besucher können oft kaum glauben, wie viel Arbeit es kostete, eine einzige Fotografie anzufertigen! Wer die gute alte Zeit schätzt, als die Tage viel langsamer verliefen, oder diese seinen Kindern zeigen möchte, der ist im Atelier Seidel herzlich willkommen!